Der Taylorismus war eine wesentliche Innovation in der industriellen Entwicklung. Enorme Produktivitätssprünge wurden erlangt durch das Prinzip einer Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen und der damit verbunden Arbeitsteilung.
Mit der Veränderung der Arbeitswelt ging eine Veränderung der Gesellschaft einher. Durch die starke Industrialisierung entstanden Arbeitsplätze, die außerhalb des Hauses, des Heimes der Familien lagen. Männer und auch Frauen fingen an, außerhäuslicher Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die großen Gemeinschaften, die Großfamilie lösten sich auf. An deren Stelle trat die Kleinfamilie.
Durch die Veränderung des Arbeitens und der Gesellschaft entstand eine rationale Leistungsgesellschaft mit Überstunden, Konkurrenzkampf und Fokus auf die „Arbeit“, die im Laufe der Zeit mehr Nachteile wie Vorteile für die Menschen zu bringen schien.
Schriftsteller wie Aldous Huxley („Schöne neue Welt“) wiesen schon früher darauf hin, wohin dieser Weg der Entfremdung in der Arbeit führen kann. Ab Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts setzten massive Gegenbewegungen zum Taylorismus ein, die auf Humanisierung und Demokratisierung der Arbeitswelt drängten.
Wir stehen heute an einer Schwelle der Veränderung. Unser Leben wird heute nicht mehr so stark in Arbeit und Freizeit unterteilt, Das Schlagwort New Work ist in aller Munde. Den jungen Generationen Y und Z ist bewusst, dass es kein unendliches Wirtschaftswachstum geben kann. Menschen und die natürlichen Ressourcen sind an einer Grenze angelangt.
Zudem fördert der krisenbedingte Digitalisierungsschub durch Corona neue Arbeitsstrukturen. Auf einmal wurde Home-Office gesetzlich angeordnet. Die Trennung zwischen Heim und Arbeit wurde zwangsweise wieder aufgehoben. Es stellte sich heraus, dass unser Modell der Arbeit und Gesellschaft fragil ist. Führungskräfte betreuten zwischen den Teams-Sitzungen Ihren Nachwuchs, der aufgrund von Schulschließungen durch Home-Schooling unterrichtet wird. Man konnte erst in Ruhe arbeiten, wenn die Kleinsten schlafen und die Größeren vor PC und Fernseher beschäftigt wurden. Und doch hat dieser Zwangsexperiment vieles Gutes nach oben gespült. Das Home-Office funktioniert, wenn auch nur bedingt. Mit der Corona-Krise als Beschleuniger setzen sich New-Work-Modelle durch, die den Tayloristischen Ansatz zumindest in den Büro-Berteichen nivellierten.
An der Stelle von Erfolg und Karriere finden Werte Ihren Platz, die nicht an Einkommen und Status gekoppelt sind. Weiche Faktoren wie Sinn, Eigenbestimmtheit, Sinnhaftigkeit, Gestaltungsmöglichkeiten und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erhalten ein größeres Gewicht. Diese Postwachstumsbewegungen gibt der Arbeit unter Einfluss der Digitalisierung ein neues Verständnis.
Industrie 4.0
Dem Gegenüber oder an der Seite steht der Megatrend Industrie 4.0. Industrie 4.0. bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen, Abläufen und Mensch mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie. Für Industrie 4.0 ist nicht der PC die zentrale Technologie, sondern die Vernetzung der Devices durch und über das Internet. Das Internet der Dinge, Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und intelligentere Produktionsstätten läuten eine neue Epoche der industriellen Revolution ein.
Die Digitalisierung unserer Arbeitswelt wird massive Veränderungen und Umwälzungen in den Unternehmen mit sich bringen. Veränderungen, die sowohl die Prozesse, Abläufe und Organisationsformen betreffen, als auch neue Herausforderungen an Unternehmensleitung und Führungskräfte stellen werden. Was gestern noch ein Erfolgsgarant war, ist heute gestrig. Es sind neue Kompetenzen und Fähigkeiten gefragt. Das hat bei Führungskräften und Mitarbeitern Verunsicherung, Zweifel und Angst ausgelöst.
Wie können wir die Zukunft, die Digitalisierung gestalten? Und wie werden wir den sich verändernden Ansprüchen gerecht, die die Menschen an die Arbeitswelt die Gesellschaft stellen?

Was kann das Management für diese Fragestellungen von der Natur lernen? Unter Bionik versteht man die Synthese aus Biologie und Technik. Bionik überträgt so das Wissen der Natur auf technische Produktinnovationen. Mit diesem Wissen wurden riesige Innovationssprünge vollzogen.
Mit dem Wissen der Natur lassen sich aber nicht nur neue Produkte entwickeln, sondern auch Veränderungsprozesse gestalten und Krisen überwinden.
Seit Millionen von Jahren ist die Natur Krisenmanagerin und gelangt immer wieder zu Lösungen. Die Natur ist in einem permanenten Veränderungsprozess, in dem Sie sich den immer neuen Rahmenbedingungen anpassen muss.
Sieht man die Herausforderung aus Digitalisierung und New Work, der sich Arbeitswelt und Mensch stellen müssen, macht es Sinn, darauf zu schauen, wie die Natur damit umgeht.
Strategieentwicklung in der reinen Lehre
Angesichts der Herausforderungen, mit denen sich die Unternehmen konfrontiert sehen, wirken Strategieentwicklungsansätze und Vorgehensweisen des strategischen Managements nahezu anachronistisch.

Die Natur bietet einen Gegenentwurf. Die Wachstums- und Reifephasen einer Pflanze zeigt wie erfolgreiche Entwicklung auch in schwierigen, sich verändernden Situationen gelingen kann. Die Natur hat Strategien entwickelt, mit Ihr jeder einzelne Organismus im System, sich bei gravierenden Veränderungen schnell an die Bedingungen anzupassen. So überlebt die Art und kann kraftvoll wachsen.
Wie gestaltet sich das „Strategische Management“ der Pflanze?
Zuallererst konzentriert sich die Pflanze auf sich selbst. Sie versucht mir ihren eigenen Möglichkeiten Lösungen zu finden für die entsprechende Situation und bezieht sich nicht auf das Best-Practise auf der Wiese nebenan. Das Vertrauen in die eigene Kraft, in die eigene Stärke ist wesentlicher Bestandteil der Strategie.
In Ihrer Entwicklung übernimmt die Pflanze Selbstverantwortung und kommt ins Handeln. Sie sammelt alle Kraft in sich und passt sich rechtzeitig den neuen Bedingungen an. Bei Trockenheit streckt sie sich tief in die Erde, um an tieferliegende Wasseradern kommen. Gibt es unüberwindbare Hindernisse, wächst sie um das Hindernis herum. Jede Pflanze tut das für sich und gestaltet so den eigenen Anpassungsprozess und damit den gesamten Anpassungsprozess mit. Sie wartet nicht ab, ob sich die Umgebung zu Ihren Gunsten verbessert, sondern agiert unverzüglich. Auch scheint es keine zentrale Steuerung des Anpassungsprozesses zu geben, keine fertige Lösung für alle, nur die Selbstverantwortung.
Die Analogie zum Pflanzenreich zeigt: Unternehmen und Menschen werden in der Zukunft nur dann erfolgreich sein können, wenn sie die Zeit haben zu reifen, d.h. sich evolutionär zu entwickeln. Das bedeutet sich mit Eigenantrieb, Umsetzungsstärke und Tatkraft den ständig ändernden Anforderungen zu stellen. Nicht stehen bleiben, sich immer weiterentwickeln; evolutionärer Stillstand bedeutet den Verfall.
Überlegen Sie an dieser Stelle, wie viele Unternehmen sich nicht mehr in diesem Sinne entwickeln?
Überlegen Sie auch wie vielen Unternehmen es aufgrund Ihrer Größe nicht möglich ist, diesen Weg zu beschreiten, weil Bürokratie und organisatorische Selbstbeschäftigung die Entwicklung tötet?
Überlegen Sie auch wie unsere öffentlichen Behörden die Chance haben können, sich den Herausforderungen der Digitalisierung über erstmal stellen zu können, geschweige denn diese zu meistern?
Selbststeuerungskompetenz entwickeln
Wie können also Unternehmen mit dem Vorbild der Natur die gravierenden Veränderungen und Krisen der Zukunft überwinden?
Die Herausforderungen, die uns bevorstehen sind rasante, nicht kalkulierbare Veränderungen. Der Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine war für unsere Wirtschaft, für unsere Kultur und für unsere Sichtweise auf die Welt ein Schock. Das und die Coronakrise machen deutlich, dass wir uns in komplettem Neuland befinden. Bei diesen Veränderungen greifen die alten Lösungsmechanismen nicht mehr. Es bedarf neuer Schlüsselfaktoren für die Zukunft.

Natürliche Wachstumsprozesse
Der Prozess des Wachstums ist ein wechselseitiger Prozess, d.h. die Elemente des Systems bedingen sich wechselseitig. Die Entwicklung des Menschen beeinflusst die Entwicklung des Unternehmens und umgekehrt.
Unternehmen müssen mit Weitblick in die Zukunft schauen und jederzeit mit Krisen rechnen. Ein klares Verstehen des aktuellen IST hilft manchem Unternehmen schon weiter. Auf dieser Basis die Zukunft vorherzusagen und dieses Bild immer wieder anzupassen, zeugt von Weitblick. Der strategische Radar sollte mit einer Haltung einer permanenten Krisenfähigkeit einhergehen. Krisen sind nichts Außergewöhnliches, zumindest nicht in der Natur. Wir als Menschen wollen die Welt aber anderes sehen. Als heil und nicht gefährlich. Eine Haltung, die Krisen akzeptiert und die in Krisen handlungsfähig macht, ist Basis für das Überleben. Pflanzen und Tiere rechnen immer mit Schwierigkeiten und sind daher auf Krisen gut vorbereitet, um so schnell zu reagieren.
Doch wie können sich Unternehmen, deren Führungskräfte und Mitarbeiter Krisenfähigkeit ausprägen? Wer sich in Krisen optimal verhalten will, muss das irgendwie erlernt haben, Krisen müssen zum Erfahrungsschatz gehören. D.h. jeder einzelne muss Krisen erlebt und überwunden haben, sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld. Dafür braucht es im Unternehmen Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit für Mitarbeiter, um die notwendigen Erfahrungen machen zu können, um aus den kleinen Krisen lernen zu können.
Was bedeutet es aber genau krisenfest, resilient zu sein? Die Natur kennt zwei evolutionäre Handlungsweisen. Das was sich bewährt hat, wird fortgeführt. Das was nicht funktioniert oder nicht mehr funktioniert wird verändert. Die Natur vollzieht diese Veränderung ohne Schuldbewusstsein und ohne Schuldzuweisungen. Sie vollzieht, weil es vollzogen werden musss. Sie blickt nicht zurück. Diese Experimentierfreudigkeit, die Freude an der notwendigen Veränderung stärkt die Krisenfähigkeit und macht auch Menschen und Unternehmen resilient.
Aus dieser Resilienz erwächst Anpassungsfähigkeit. Für Unternehmen bedeutet diese Anpassungsfähigkeit, sich schnell von Geschäftsmodellen verabschieden zu können, wenn es notwendig ist. Und das ist überlebensnotwendig.
Die Natur denkt langfristig. Auch Unternehmen sollten langfristig denken. Ist die Krise gemeistert, zielt jeder Organismus auf langfristiges Wachstum ab. Keine Pflanze denkt in Quartalszahlen. Das Denken der Natur ist in Generationen, in der Erhaltung der Art.

Die Natur besinnt sich immer auf ihre Stärken. Die Stärken zu entwickeln und zu formen ist wesentlicher Teil der Entwicklungsstrategie. Die Stärke des Einzelnen macht die Stärke der Organisation aus. Übersetzt man das auf Unternehmen und den darin agierenden Menschen bedeutet diese Fähigkeit, nicht immer den Vergleich mit anderen zu suchen, sondern sich der eigenen Stärken und Potenziale bewusst zu werden und diese zu entwickeln.
Das wichtigste Learning für Manager aus der Natur aber ist, dass Unternehmen und auch Menschen keine berechenbaren Maschinen sind. Die Interaktionen von Menschen, macht ein Unternehmen aus. Und so ist ein Unternehmen eine dynamische, komplexe Organisation. Man kann die Zukunft eines Unternehmens nicht mit Excel-Sheets und PowerPoint Präsentationen gestalten. Unternehmerisches Handeln ist ein ständiges Auf und Ab, ein Hinschauen und Ändern und vor allen Dingen Kommunikation und Interaktion.
In diesem Sinne – viel Spaß beim Anführen!